Tag X: Die Abreise. Tapas, Kerwe, „Was habe ich vergessen?“, Die langsamste Schlange, die längste Schlange, die langsamste Schlange, Vorsichtsmassnahmen für Indien. Cooles Hotel – endlich.

Nach dem enormen Erfolg des „Reisetagebuches“ im April gibt’s jetzt, anlässlich der Oktober-Reise nach Bangalore, eine Neuauflage. Viel Spaß!
Der Tag X: Abreise
Eigentlich hat der Tag schon ganz gut angefangen: Um Mitternacht saß ich noch mit zwei lieben Kollegen in einer Tapas-Bar in Downtown Walldorf und wir hatten eine Menge Spaß.

Rückblick:

Wegen der Kerwe („Kirchweih“) in Walldorf hatten wir ein kleines Problem gehabt, das Stadtzentrum überhaupt zu erreichen. Nicht etwa wegen der Menschenmassen… nur die Aufbauarbeiten waren im Weg.

Soweit so gut, irgendwann kam ich dann doch heim, und der erste Schreck für den Tag lag vor der Tür: Bei der Suche nach dem Wohnungsschlüssel bemerkte ich, dass ich noch packen musste! (Und meinen Nachbarn noch nicht Bescheid gesagt hatte wegen Pflanzen und Briefkasten.) Also, irgendwann um vier oder so war ich dann im Bett.

Am nächsten Tag um Schlag acht klingelt, wie abgesprochen, der Fahrer. Gottseidank war zu dieser Zeit schon fast alles parat, nur für’s Rasieren hatte die Zeit nicht mehr gereicht. Auf der anderen Seite: Zweieinhalb Stunden Schlaf – mal sehen, was ich kurzfristig vergessen haben könnte. Die Fahrt zum Flughafen war dann auch unspektakulär, bis auf die etwas seltsame Fahrtroute (A6 statt A5) und die Kleinigkeit, dass wir einmal dem Wegweiser zum Flughafen nicht folgten. Macht ja nix, im Halbschlaf nimmt man das alles ganz locker. Ach ja… und die erste Erkenntnis dämmerte: Die Notfalltelefonnummer in Indien hatte ich vergessen. Das fängt ja gut an.

Wie gesagt, locker und im Halbschaf in den Flughafen ‚rein. Erste Bemerkung: Oha, sie haben mehr Schalter umgebaut auf Selbstbedienung. Im Hintergrund waren ganz Eindeutig die Leuchtreklamen „Quick Check In“ zu lesen. Zweite Bemerkung: Die Automaten selbst waren durch die Menschenmassen von Blicken verborgen. Nähere Untersuchungen ergeben

  • dass sehr wohl noch Service-Check-In-Schalter existieren
  • und dass die längste Schlange, einmal quer durch die Abfertigungshalle dort anfängt (oder aufhört. Wie Du willst.)

Immerhin, als geübter Flieger behält man die Ruhe (wenn die Sekretärin sicherheitshalber eine halbe Stunde Schlaf in Puffer umwandelt erst recht) und geht zum Automaten direkt neben dem First-Class-Schalter. Dort sucht nämlich niemand so einen Automaten, also musste ich mir die sechs Automaten nur mit etwa 50 Mitreisenden teilen. Gutes Geschäft. Ruhe bewahren, Nickerchen im Stehen machen. Lärm von vorne ignorieren. Moment… Lärm von vorne? – Ach so… irgendein unerfahrener Wenigflieger bekommt Panik, weil er nur noch eine Stunde Zeit hat bis zu seinem Flug nach Berlin. Gut, lassen wir ihn vor, sind wir ihn los. Weiterschlafen, Lärm von vorne ignorieren. Moment… Lärm von vorne? – Was ist denn nun schon wieder los? – Ach so… einer der Automaten ist abgestürzt. Der Startvorgang enthüllt eindeutig Windows, ein paar Männer in der Schlange (wahrscheinlich Computer-Fuzzies) schmunzeln. Also: Weiterschlafen, Lärm von vorne… Moment… das darf doch nicht wahr sein??? Direkt vor mir bringen Eltern ihre zwei Töchter (um die 16) auf den Flug nach Manchester. Eigentlich nett, dass die Eltern noch mitkommen und sich die Kids nicht dafür schämen, aber dass sie sich gegenseitig am Automaten fast die Augen auskratzen: „NEIIIN – natürlich fliege ich in Begleitung, Lena fliegt doch mit“ – „Jetzt stell doch schon endlich das Gepäck auf das Band, nicht dass der Computer inzwischen weitermacht“ – „Drück noch nicht, drück noch nicht… warten wir doch erst auf den Herren“ (die Lufthansa hatte diesen sechs Automaten drei Helfer zur Seite gestellt… Nette Herren… bewundernswerte Geduld…). Lange Rede, kurzer Sinn, nachdem die beiden Mädels sich noch gebührend über die Sitzplatzwahl gestritten hatten, waren auch sie fertig, und ich war dran und voll guter Vorstätze, den Automaten möglichst schnell wieder zu räumen. Aber traue keinem Automaten wenn er sagt „Ticket oder Miles&More-Karte eingeben“, er meint es nicht so. Meine Miles&More-Karte wurde schnöde wieder ausgespuckt mit dem Kommentar „Dieser Miles&More-Karte ist zur Zeit kein Ticket zugeordnet“. Als ob ich das nicht wüsste – das Ticket hab’ ich doch in der Hand Du Blechtrottel! Na gut, noch mal von vorne. Sogar mit dieser Ehrenrunde kann an in fünf Minuten fertig sein. Kurzer Blick in die Runde: Klar… wieder einmal die langsamste Schlange erwischt.

Nach einer kurzen Runde durch verschiedene Flughafen-Shops (bspw. eine Flasche Powerade für 2€ als Frühstück, ich wusste doch, dass da noch irgendwas fehlt) kann man sich ja an die Gates begeben. Oder man kann’s wenigstens versuchen. Denn davor haben die Götter der Luftaufsicht die Sicherheitskontrolle gestellt, und man trifft genau die gleichen Flachwasserschwimmer noch einmal. Der routinierte Flieger nutzt die Wartezeit, um Ticket und Paß vorzubereiten, alle Metallgegenstände in die Jackentaschen zu stopfen und die Jacke auszuziehen. Andere warten bis zur Spitze der Schlange, legen den Rucksack ab, gehen durch die Schleuse und werden wieder zurückgeschickt: „Bitte ziehen sie die Jacke aus und legen sie sie auf das Band. Schlüssel, Kleingeld Handy bitte gleich dazu.“ Einmal hin, einmal her, „PIEP“, ran an den Hand-Metalldetektor. „Das war bestimmt nur meine Armbanduhr!?!?“ – zu spät. Übrigens, was sehen da meine verschlafenen Äuglein? In meiner Schlange teilen wir uns die Personenschleuse mit zwei Gepäck-Röntgenapparaten, in der dritten geht’s viel schneller. Klar… wieder einmal die langsamste Schlange erwischt.

Auf dem Weg zum Gate kommt mir die göttliche Eingebung: Ich könnte Kollegen Thomas eine SMS schreiben, ob er nicht die Notfallnummer in Indien hat. Die SMS ist fertig, als ich das Gate erreiche: Die Schlange ist nur etwa 50 Meter lang und bestimmt die langsamste, es gibt nämlich nur eine. Also Umweg über den Zeitschriftenladen und den Elektronikladen. Glück gehabt, als ich zehn Minuten vor Boarding wieder an den Schalter komme, ist nicht nur die Schlange weg, sondern auch die Telefonnummer eingetroffen. Rein in den Flieger, und nicht nur über den Sitzen kein Platz mehr für’s Handgepäck sondern auch drunter: in den letzten Reihen sind die mittleren Sitze anders befestigt, da gibt’s diesen Platz nicht. Und dass man sich in den letzten Reihen das Essen nicht aussuchen kann, ist ja auch normal. Immerhin kommt ein anständiger Film: Drei Engel für Charlie, Volle Power. Cool, und ich hab’ nicht nur meine super-Kopfhörer dabei, sondern diesmal auch meinen Adapter. Äh. Öh. Ja… Der Adapter ist leider im Koffer. Und meine Nackenstütze hab’ ich vergessen, und die in den Sitz eingebaute Nackenstütze geht nicht.

Zehn Stunden später, Ankunft in Bangalore. Wer am Ende vom Flieger sitzt steht natürlich auch am Ende der Schlange bei der Einreisekontrolle. Dabei fällt mir auf: Ich bin ja in Indien!?!? Da ist ja alles ganz anders, das hab’ ich ja alles schon vergessen… also, wie waren die elementaren Vorsichtsmaßnahmen???

Bei der Einreisekontrolle mache ich’s geschickt: Die Schlange ganz links haben die meisten übersehen, die ist nur halb so lange. Kurz darauf geht der Einreisebeamte mit einem Pass und einem großen Zettel in der Hand ins Büro. Ich bin unter den letzten zehn, die drankommen. Aber es wäre den ganzen Zirkus nicht wert gewesen: Das Gepäck war sowieso noch nicht da. Eine Stunde nach der Landung schleiche ich also aus dem Sicherheitsbereich, und werde gleich überfallen. Mehrere Taxifahrer bieten mir sturmartig ihre Dienste an. Ein paar Hotel-Chauffeure sind etwas dezenter und fragen mich in welches Hotel ich muß. Einer von ihnen verlässt sogar seinen Posten um den richtigen Kollegen für mich zu finden, aber ich war schneller. Während er das Auto holt, spricht mich ein junger Kerl an. Wo ich herkäme, ob ich schon oft hier gewesen sei usw. Kurz darauf kommt noch ein Bettler ohne Beine dazu der professionell ignoriert wird und trotzdem dabei bleibt. Kurz darauf kommt das Auto, und der Junge hebt meinen Koffer in den Kofferraum. Daraufhin verlangt er ein Trinkgeld. Keine Rupien? – Kein Problem, er nimmt auch Euro oder Dollar, ein Dollar oder zwei wären doch das mindeste. (Davon kann man in einem einfachen Restaurant immerhin fünf komplette Mahlzeiten bekommen!) Gut, sein Trinkgeld hat er nicht bekommen, und wir erinnern uns:

Vorsichtsmaßnahme 1: Bettler ignorieren. (check!)

Vorsichtsmaßnahme 2: Dienstleister ignorieren. (fail!)

Übrigens war’s der erste Tag in Bangalore den ich erlebt habe, an dem es geregnet hat.

Mit dem Fahrer entspann sich dann noch ein sehr interessantes Gespräch, aus dem hier nur ein Detail auftauchen soll: Ausbildung. Ausbildung sei das wichtigste Thema in Indien und für alle Inder. Leute, wenn das klappt muss sich Europa warm anziehen.

Der Herr an der Rezeption entschuldigte sich dann vieltausendfach, weil es kein Zimmer mit einem großen Bett mehr gäbe, nur noch eines mit zwei Kleinen. Morgen könnte ich umziehen. Na gut, ab in den zweiten Stock. Wer kennt die Photos von meinem letzten Hotelzimmer? – dieses war genauso, nur die Farben waren anders. Leuchtendes Violett.

Aber ich wollte nur noch ins Bett, immerhin ist es schon wieder 3:00 Ortszeit.