Bis vor ein, zwei Wochen hat Indien die Welt mit niedrigen Infektionszahlen erstaunt. Viele dachten, das wäre vor allem eine Eigenschaft der Datenqualität: Tatsächlich gäbe es wohl so viele Infektionen, dass Indien sie gar nicht testen könnte. Dieser Artikel hier des World Economic Forum legt nahe, dass Indien die Lage tatsächlich außergewöhnlich lange im Griff hatte. Mein Freund-Kollege in Bangalore erklärt das ungefähr so:

Indien hat drei Dinge, die wir nicht haben:
– eine entschlossene Regierung
– keine Land- und Seegrenzen
– auch sonst kaum Kontakt mit China (China und Indien sind sich spinnefeind)

Das heißt: wenn die Regierung ca. 150 internationale Flughäfen unter Kontrolle kriegt, haben sie die Seuche unter Kontrolle.

Und aus den Zeiten von „SARS-1“ hat Indien gelernt: An allen internationalen Flughäfen gab es seitdem Gesundheitschecks bei der Einreise. Die waren zwar die letzten Jahre eher symbolisch, aber sie waren nie wirklich weg.

PM Modi war genau diese Situation völlig klar: Es sind unglaublich viele unglaublich arme Menschen, die teils auf aller-engstem Raum zusammenleben. Das Gesundheitssystem hat zwar in den letzten zehn Jahren Fortschritte gemacht, aber es ist MEILENWEIT von westlichen Standards weg. Wenn Indien die Kontrolle über die Krankheit verliert, wird es wahrscheinlich das Live-Beispiel für „nein, es ist nicht einfach nur eine Grippe“.

Also hat Modi quasi sofort geschaltet, im Februar schon die Gesundheitskontrollen wieder verschärft und auch sehr Einreisen aus China, Iran und ein paar anderen Ländern verboten. Damit ist eine Situation entstanden, in der sie bis vor kurzem zu jeder Zeit bei jeder identifizierten Infektion noch alle infektionsgefährdeten Menschen identifizieren und isolieren konnten. So haben sie über Wochen die Fallzahlen niedrig gehalten. (Übrigens: Die bei weitem überwiegende Mehrheit konnten sie zurückverfolgen zu Einreisen aus Europa oder den USA. Peinlich, oder?)

Im Lauf der letzten Woche oder so hat Indien die Kontrolle verloren. (Mehr dazu in einem separaten Artikel).

Jetzt ist „die Zahnpasta aus der Tube“. Modi versucht zwar noch, die Kontrolle zurückzuerlangen und so weiter, aber die Katastrophe ist eigentlich nicht mehr aufzuhalten. Alle wissen, dass in etwa 14 Tagen etwas schreckliches ans Licht kommt, aber der Point of no Return ist überschritten.
Alle Industrieunternehmen versuchen krampfhaft, Beatmungsgeräte, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel herzustellen. Die Bahn steht sowieso still, also werden 20.000 Schlafwagen werden zu Behelfs-Quarantäne-Einheiten umgerüstet, und so weiter, und so weiter.

Trotzdem: Was in Indien jetzt auf dem Weg ist, wird grausam.